Diese Dokumentation wurde zur Beschreibung der Serie 1.6.x von Subversion erstellt. Falls Sie eine unterschiedliche Version von Subversion einsetzen, sei Ihnen dringend angeraten, bei http://www.svnbook.com/ vorbeizuschauen und stattdessen die zu Ihrer Version von Subversion passende Version dieser Dokumentation heranzzuiehen.

Verbreitete Verzweigungsmuster

Es gibt zahlreiche unterschiedliche Anwendungsfälle für das Verzweigen und svn merge; dieser Abschnitt beschreibt die verbreitetesten.

Am häufigsten wird Versionskontrolle in der Softwareentwicklung verwendet, so dass wir an dieser Stelle kurz zwei der gebräuchlichsten Verzweigungs- und Zusammenführungsmuster vorstellen, die von Entwicklerteams benutzt werden. Falls Sie Subversion nicht in der Softwareentwicklung verwenden, können Sie den Abschnitt getrost überspringen. Falls Sie ein Softwareentwickler sind, der Versionskontrolle das erste Mal verwendet, sollten Sie gut aufpassen, da es sich bei diesen Mustern um bewährte Vorgehensweisen handelt, die von erfahrenen Menschen empfohlen werden. Diese Prozesse sind nicht spezifisch für Subversion; sie sind anwendbar auf alle Versionskontrollsysteme. Trotzdem mag es hilfreich sein, wenn sie anhand von Subversion erklärt werden.

Release-Zweige

Die meiste Software hat einen typischen Lebenszyklus: Erstellung, Test, Freigabe und wieder von vorne. Bei diesem Prozess gibt es zwei Probleme. Erstens müssen Entwickler neue Funktionen schreiben, während das Qualitätssicherungsteam sich Zeit zum Testen der vermeintlich stabilen Software nimmt. Die Arbeit kann allerdings nicht liegenbleiben während die Software getestet wird. Zweitens muss das Team fast immer ältere, bereits an den Kunden herausgegebene Software unterstützen; falls im neuesten Quelltext ein Fehler entdeckt wird, besteht der Fehler wahrscheinlich auch in der herausgegebenen Version. Die Kunden möchten dann eine Fehlerbehebung, ohne auf ein größeres, neues Release zu warten.

Hier kann Versionskontrolle helfen. Die typische Vorgehensweise ist wie folgt:

  1. Entwickler übergeben alles Neue an den Stamm. Tägliche Änderungen werden an /trunk übergeben: neue Funktionen, Fehlerbehebungen usw.

  2. Der Stamm wird in einen Release-Zweig kopiert. Wenn das Team der Auffassung ist, dass die Software reif für eine Freigabe ist (z.B. Release 1.0 ), kann /trunk nach /branches/1.0 kopiert werden.

  3. Die Teams arbeiten parallel. Ein Team beginnt, den Release-Zweig sorgfältig zu testen, während ein anderes Team mit der Arbeit (z.B. für Release 2.0) in /trunk fortfährt. Falls hier oder dort Fehler entdeckt werden sollten, werden die Fehlerbehebungen nach Bedarf hin oder her kopiert. Zu einem gegebenen Zeitpunkt hört jedoch sogar dieser Prozess auf. Der Zweig wird für die Abschlusstests vor der Freigabe eingefroren.

  4. Der Zweig wird markiert und freigegeben. Nach dem Abschluss der Tests wird /branches/1.0 als Momentaufnahme nach /tags/1.0.0 kopiert. Das Tag wird paketiert und an den Kunden ausgeliefert.

  5. Der Zweig wird gepflegt. Während die Arbeit für Version 2.0 in /trunk weitergeht, werden weiterhin Fehlerbehebungen von /trunk nach /branches/1.0 portiert. Wenn sich ausreichend Fehlerbehebungen angesammelt haben, könnte sich das Management entschließen, ein Release 1.0.1 herauszugeben: /branches/1.0 wird nach /tags/1.0.1 kopiert, und das Tag wird paketiert und freigegeben.

Der gesamte Prozess wiederholt sich während die Software reift: Wenn die Arbeit an 2.0 fertig ist, wird ein neuer 2.0 Release-Zweig erstellt, getestet, markiert und schließlich freigegeben. Nach einigen Jahren füllt sich das Projektarchiv mit einer Anzahl von Release-Zweigen, die weiterhin gepflegt werden, und einer Zahl von Tags, die den endgültigen, ausgelieferten Versionen entsprechen.

Funktions-Zweige

Ein Funktions-Zweig ist die Art von Zweig, wie er im Hauptbeispiel dieses Kapitels vorkam (der Zweig, auf dem Sie gearbeitet haben, während Sally auf /trunk arbeitete). Es ist ein vorübergehender Zweig, der angelegt wird, um an einer komplexen Änderung zu arbeiten, ohne /trunk zu stören. Anders als Release-Zweige (die vielleicht ewig gepflegt werden müssen), werden Funktions-Zweige erstellt, eine Zeit lang genutzt, zurück in den Stamm integriert und schließlich gelöscht. Sie haben einen zeitlich begrenzten Nutzen.

In Projekten gehen die Meinungen oft auseinander, wann der richtige Zeitpunkt zum Anlegen eines Funktions-Zweiges gekommen ist. Manche Projekte benutzen nie Funktions-Zweige: jeder darf Änderungen in /trunk übergeben. Der Vorteil hier ist, dass es einfach ist – niemand benötigt eine Schulung im Verzweigen und Zusammenführen. Der Nachteil ist, dass der Code oft instabil oder nicht nutzbar ist. Andere Projekte verwenden ausschließlich Zweige: Eine Änderung darf niemals direkt in /trunk übergeben werden. Selbst die trivialsten Änderungen werden auf einem kurzlebigen Zweig durchgeführt, sorgfältig geprüft und in den Stamm zurückgeführt. Danach wird der Zweig gelöscht. Dieses Vorgehen garantiert einen außerordentlich stabilen und nutzbaren Stamm, jedoch zum Preis eines erheblichen Prozessaufwands.

Die meisten Projekte bewegen sich irgendwo dazwischen. Gewöhnlich bestehen sie darauf, dass /trunk stets compilierfähig bleibt und Regressionstests besteht. Ein Funktions-Zweig wird nur dann benötigt, falls eine Änderung eine große Anzahl destabilisierender Übergaben erfordert. Eine gute Faustregel ist, diese Frage zu stellen: Wäre, falls ein Entwickler nach Tagen isolierter Entwicklung die große Änderung auf einmal übergäbe (so dass /trunk nie instabil würde), die Änderung zu umfangreich zum Überprüfen? Falls die Antwort auf diese Frage ja lautet, sollte die Änderung auf einem Funktions-Zweig durchgeführt werden. Während der Entwickler schrittweise Änderungen in den Zweig übergibt, können sie auf einfache Weise von den Kollegen geprüft werden.

Schließlich stellt sich die Frage, wie ein Funktions-Zweig am besten mit dem Stamm synchron gehalten werden kann während die Arbeit weitergeht. Wie wir vorher bereits bemerkten, besteht ein großes Risiko, wenn wochen- oder monatelang auf dem Zweig gearbeitet wird; währenddessen ändert sich auch der Stamm, so dass ein Punkt erreicht werden kann, an dem sich die beiden Entwicklungslinien so sehr unterscheiden, dass es zu einem Albtraum ausarten kann, den Zweig zurück auf den Stamm zu führen.

Diese Situation wird am besten vermieden, indem regelmäßig Änderungen vom Stamm in den Zweig eingearbeitet werden. Machen Sie es zur Gewohnheit: Arbeiten Sie wöchentlich die Änderungen der vergangenen Woche vom Stamm in den Zweig ein.

Irgendwann werden Sie dann bereit sein, den synchronisierten Funktions-Zweig zurück in den Stamm zu führen. Hierzu arbeiten Sie ein letztes Mal die jüngsten Änderungen vom Stamm in den Zweig ein. Danach werden die letzten Versionen auf dem Stamm und dem Zweig, bis auf Ihre Änderungen auf dem Zweig, absolut gleich sein. Dann werden Sie den Zweig mit der Option --reintegrate wieder mit dem Stamm zusammenführen:

$ cd trunk-working-copy

$ svn update
Revision 1910.

$ svn merge --reintegrate http://svn.example.com/repos/calc/branches/mybranch
-- Zusammenführen der Unterschiede zwischen Projektarchiv-URLs in ».«:
U    real.c
U    integer.c
A    newdirectory
A    newdirectory/newfile
 U   .
…

Aus einem anderen Winkel betrachtet ist dieser wöchentliche Abgleich vom Stamm auf den Zweig analog zum Ausführen von svn update in einer Arbeitskopie, wobei das finale Zusammenführen svn commit in einer Arbeitskopie entspricht. Ist denn letztendlich eine Arbeitskopie nicht ein sehr flacher privater Zweig? Es ist ein Zweig, der nur eine Änderung gleichzeitig aufnehmen kann.